Eötvös begann nachdem er im Herbst 1869 von Königsberg nach Heidelberg zurückgekehrt war, sich auf seine Promotion vorzubereiten und hörte dazu auch nochmals die Vorlesung über Experimentalphysik bei Kirchhoff, der ihn im Doktorexamen zu prüfen hatte. Am 6. November 1869 schrieb er noch an seinen Vater, er fühle sich wieder sehr gut in Heidelberg in der Gesellschaft seiner Freunde. Dann gibt es aber eine Lücke in dem bis dahin sehr regelmäßigen Briefwechsel zwischen Sohn und Vater, der nächste Brief Loránds datiert erst vom 21. Dezember 1869. In diesem sind finanzielle Angelegenheiten angesprochen, Loránd schreibt, er habe Geld für Vergnügungen ausgegeben, hätte jedoch mit der Arbeit nicht aufgehört.
In der Mitschrift der Experimentalvorlesung spiegeln sich die schwierigen Lebensumstände und Befindlichkeiten des Studenten während dieser Zeit wider. Der Kirchhoffschen Vorlesung konnte er nicht fernbleiben, die Plätze im Hörsaal waren numeriert und sein Fehlen wäre Kirchhoff sogleich aufgefallen. Er führte in dieser Zeit seine Mitschrift weiter, aber sie wird deutlich oberflächlicher, und es fehlen die Eintragungen des jeweiligen Datums ab dem 17.11. auf der Seite 95, und ab da sind auch keine Seitenzahlen eingetragen.
Anfang Dezember erhielt Loránd einen polizeilichen Strafbefehl über zwei Gulden, weil er in der Nacht vom 4. zum 5. Dezember um 1 Uhr auf der Hauptstraße durch lautes Singen die nächtliche Ruhe gestört hatte. Das muß ihn sehr ernüchtert haben, denn am darauffolgenden Montag, dem 7.12., trug er Datum und Seitenzahlen, an diesem Tage ist es die Seite 172, wieder in sein Script ein. Von da an wird die Mitschrift auch wieder sorgfältiger, bricht aber am Montag, den 20.12., gänzlich ab.
In diesen Tagen ergab sich eine entscheidende Zäsur in dem bis dahin recht unbekümmerten Studentenleben Eötvös´. Der Geograph August Petermann plante für 1870 eine Arktisexpedition, die hauptsächlich der Erforschung und Kartierung der Küste Spitzbergens dienen sollte. Loránd wollte daran gern teilnehmen, was 1000 Mark und natürlich einen Verlust an Studienzeit gekostet hätte. Der Vater lehnte das ab, er war nämlich in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten und mußte nun darauf dringen, daß sein Sohn das Studium alsbald abschloß. Der gab daraufhin den Besuch der Vorlesung auf. Nach intensiver Vorbereitung legte er die Doktorprüfung am 7. Juli 1870 mit der besten Note ab.
Eötvös’ Mitschrift vom WS1869/70 ist außerordentlich detailliert. Da sie aber naturgemäß viel schwerer zu lesen ist als die Nachschriften haben wir neben den Scanns der einzelnen Seiten jeweils eine Abschrift angefügt. Dabei ergaben sich einige kleine Probleme:
Handschrift: Seinerzeit war die übliche Verkehrsschrift im gesamten deutschen Sprachraum die sogenannte deutsche Kurrentschrift, aus der 1911 der Grafiker Ludwig Sütterlin die dann nach ihm benannte Schrift entwickelte. Kirchhoff verwendete natürlich die Kurrentschrift, die ungarischen Studenten Eötvös und Heller konnten diese Schrift sicher lesen, benutzten aber selbst auch während ihres Studiums in Deutschland eine lateinische Schrift.
Rechtschreibung: Die von den ungarischen Studenten verwendete Orthographie unterscheidet sich teilweise ein wenig von der heutigen und auch von der damals in Deutschland üblichen. In deutschen Schulen wurde zu Kirchhoffs Zeit bereits eine einheitliche Rechtschreibung verwendet, an die sich Kirchhoff selbst und die beiden ungarischen Studenten Eötvös und Heller hielten. Wilhelm Wilmanns und Konrad Duden entwickelten zwischen 1870 und 1880 daraus eine Schreibung, die zum Ausgang der heutigen deutschen Rechtschreibung wurde. In unserer Abschrift ist die damalige Rechtschreibung beibehalten, die Abweichungen von den heutigen Regeln erschweren das Lesen des Textes nicht merklich. Besonders auffällig ist, daß die ungarischen Studenten anstelle von „ß“ immer „ss“ schreiben, und daß sie die Schreibung „th“, wie beispielsweise in „Theil“, und die Endung „iren“ und nicht „ieren“ verwenden. In Zweifelsfällen und bei Schreibfehlern wurde die Schreibung in der ersten Auflage von Konrad Dudens „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ von 1880 gewählt. Die Zeichensetzung ist in Eötvös´ Script lückenhaft, wir haben in die Setzung der Kommata nur dort eingegriffen, wo es zum Verständnis des Textes notwendig ist. – In deutschsprachigen Texten verwendeten die beiden ungarischen Studenten die deutschen Formen Roland und August ihrer Vornamen.
Erklärungen: Zum vollen Verständnis des Textes wurden einige physikalische Erklärungen als Fußnoten eingefügt. Kirchhoff erwähnte in der Vorlesung immer auch die Familiennamen der Physiker, deren Arbeiten er behandelte. Viele davon sind uns heute noch ganz geläufig, manche aber sind nahezu vergessen und finden sich nur noch in biographischen Datenbanken. Deshalb haben wir durchgehend in Fußnoten den vollen Namen sowie Geburts- und Sterbejahr angegeben.
Numerierung der Vorlesungen: In der Handschrift sind die einzelnen Vorlesungen nicht numeriert, zumeist ist aber das Datum des Vorlesungstages eingetragen. Die Vorlesungsnummern wurden in unserer Abschrift hinzugefügt. Meistens beginnen die Mitschriften der einzelnen Tage mit einer Zusammenstellung der zu behandelnden Dinge. In unserer Abschrift sind diese Texte in grüner Schrift gesetzt. Es gibt keinen Hinweis darauf, ob Kirchhof sie vor der Vorlesung angegeben oder an eine Tafel geschrieben hat, oder ob Eötvös einen Platz in der Mitschrift dafür frei hielt und die Stichwörter dann später einfügte. Das letztere ist wahrscheinlicher, denn in Eötvös´ Ausarbeitung vom WS 1867/68 (Exp-1) und der Mitschrift Hellers vom SS 1870 (Exp-3) stehen diese Zusammenstellungen nicht. Weiterhin fügte Eötvös jeweils am Ende des Vorlesungstextes Aufstellungen der an dem Tage verwendeten Geräte an, diese Passagen sind bei uns blau gesetzt.
Maßsystem: Kirchhoff verwendete in der Vorlesung weitgehend ein cgc-System, allerdings nicht durchgehend. So werden Längen meist nicht in Zentimetern angegeben, sondern in preußischen Fuß mit dem Zeichen '. 1 Fuß entspricht 31,385 cm.
41 | 16.12. | Wahrnehmung von Wärme und Temperaturänderung | S. 55 | |
42 | 17.12. | Ausdehnung der Körper: Kugel in einem Ring, Thermometer | S. 55-56 | |
43 | 18.12. | Gewichtsthermometer, Maximum-Minimum-Thermometer | S. 56-57 | |
44 | 19.12. | Ausdehnung fester Körper, Kompensationspendel, Metallpendel, Ausdehnung der Gase, Gay-Lussac | S. 57-60 | |
45 | 20.12. | Luftthermometer, Thermoelektrizität | S. 61 | |
46 | 21.12. | Prevost, Newton über Wärmestrahlung | S. 61 | |
47 | 3.1. | Dulong-Petit, Melloni: Wärmeemission, Reflexion von Wärmestrahlen | S. 62 | |
48 | 4.1. | Wärmestrahlung | S. 62-63 | |
49 | 6.1. | Licht- und Wärmestrahlen: transversale Schwingungen, Kirchhoffs Strahlungsgesetze, Glühtemperatur, Wärmeleitung | S. 63-66 | |
50 | 7.1. | spezifische Wärme, Senarmont anisotrope Wärmeleitung in Kristallen, Mischtemperatur | S. 67-70 | |
51 | 8.1. | Methoden zur Bestimmung spezifischer Wärmen | S. 70-75 | |
52 | 9.1. | Erzeugung von Wärme durch Reibung (Joule) und Verdichtung | S. 75-76 | |
53 | 10.1. | 1. und 2. Satz der mechanischen Wärmelehre, latente Wärme | S. 76-78 | |
54 | 11.1. | latente Wärme des Wassers, Leidenfrostsches Phänomen | S. 79 | |
55 | 13.1. | Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Druck (Bunsen), Dämpfe und Gase (Faraday), Spannung des Wasserdampfes | S. 80-83 | |
56 | fehlt, wohl Numerierungsfehler, der 14.1. war ein Sonntag | |||
57 | 15.1. | Dampfdruck, Siedepunkterniedrigung, Dampfmaschine von Watt | S. 84 | |
58 | 16.1. | Dampfmaschinen | S. 84 | |
59 | 17.1. | Energieverbrauch der Dampfmaschine | S. 84-85 | |
Magnetismus |
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60 | 18.1. | Hypothese der magnetischen Flüssigkeiten, Coulombs Gesetz, erdmagnetische Kraft | S. 86-89 | |
61 | 20.1. | Messung des Erdmagnetfeldes, Aufhängungen dafür | S. 89 | |
62 | 21.1. | Erdmagnetfeld, magnetische und diamagnetische Körper | S. 89-92 | |
63 | 22.1. | Koerzitivkraft, Entmagnetisierung beim Glühen | S. 92-94 | |
Elektrische Erscheinungen |
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64 | 23.1. | Elektrische Flüssigkeiten, Elektrisiermaschine, elektrische Leiter, Elektroskope, Elektrometer, Coulombsche Drehwaage | S. 94-95 | |
65 | 24.1. | verschiedene Elektrometer | S. 95-96 | |
66 | 25.1. | gute Leiter, Leydener Flasche, Franklinsche Tafel | S. 96-97 | |
67 | 28.1. | Funken | S. 99-100 | |
69 | 29.1. | Atmosphärische Elektrizität | S.100-101 | |
70 | 30.1. | Vorgänge zur Erzeugung von Elektrizität | S.102-105 | |
71 | 31.1. | Voltasche Säule, Zambonis Säule | S.105 | |
72 | 1.2. | Ohmsches Gesetz, elektrische Elemente (Daniell, Grove, Bunsen) | S.105-106 | |
73 | 3.2. | Amperesche Regel, Biot | S.106-107 | |
74 | 4.2. | Amperesche Hypothese | S.107 | |
75 | 5.2. | Kräfte zwischen elektrischen Strömen | S.107-108 | |
76 | 6.2. | Tangentenbussole, Rheostate, Leitungsfähigkeit von Metallen | S.109-110 | |
77 | 7.2. | elektrische Telegraphen | S.110 | |
78 | 8.2. | elektrische Telegraphen | S.100 | |
79 | 10.2. | elektromagnetische Uhren, Elektromotor | S.110-111 | |
80 | 11.2. | Wirkungen der Elektrizität: Elektrolyse, Anode, Kathode, elektrolytisches Gesetz | S.111-112 | |
81 | 12.2. | Zersetzung von Kupfersalz, Galvanoplastik, Silber, Wärmewirkung der elektrischen Ströme, elektrisches Licht | S.112-113 | |
82 | 13.2. | Galvanische Sprengung von Minen, elektrische Wärmewirkungen | S.113-114 | |
83 | 14.2. | induzierte Elektrizität | S.114 | |
84 | 15.2. | Licht der Geißlerschen Röhre | S.115 | |
85 | 17.2. | Rühmkorffs Induktor, Riessches elektrisches Luftthermometer | S.115 | |
86 | 18.2. | Versuche mit dem Rühmkorff, elektrischer Funken | S.115 |
Vorlesung 1 – 6 | (6 Std.) | Was ist Physik? – Mechanik – Statik | 25.10. – 30.10. | S. 1 – 31 |
Vorlesung 7 – 14 | (7 Std.) | Mechanik – Dynamik | 2.11. – 10.11. | S. 31 – 71 |
Vorlesung 15 – 24 | (11 Std.) | Hydrostatik | 11.11. – 23.11. | S. 72 – 119 |
Vorlesung 25 – 31 | (7 Std.) | Hydrodynamik | 24.11. – 1.12. | S. 119 – 156 |
Vorlesung 32 – 35 | (4 Std.) | Elastizität | 2.12. – 6.12. | S. 156 – 171 |
Vorlesung 36 – 44 | (8 Std.) | Akustik | 7.12. – 16.12. | S. 173 – 216 |
Vorlesung 44 | … | Wärmelehre | 16.12 – 20.12. | S. 217 – 232 |
Die Mitschrift bricht mit der 47. Vorlesung am 20.12. ab